Krebstherapie: Radiopharmaka ermöglichen personalisierte Medizin

Radioaktive Substanzen als Arzneimittel einnehmen? Das würden die meisten von uns zunächst einmal weit von sich weisen. Aber Radioaktivität kann tatsächlich heilende Kräfte entfalten. „Als Bestandteil einer sorgfältig geplanten und maßgeschneiderten Behandlung bilden Radiopharmaka eine sehr wirksame Waffe im Kampf gegen zahlreiche Krebsformen“, sagt Dr. Glenn Flux, Physik-Experte der Europäischen Gesellschaft für Nuklearmedizin (EANM – European Association of Nuclear Medicine).

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„Wir stehen vor entscheidenden Fortschritten in der Krebstherapie. Radiopharmaka für die Diagnose und die Behandlung ermöglichen Programme, die auf den einzelnen Patienten hin maßgeschneidert sind. Auf diese Weise können wir Tumoren gezielt zerstören und schädliche Nebenwirkungen zugleich auf ein Minimum reduzieren“, sagt der Physiker und EANM-Experte Dr. Flux. Dieser Ansatz lässt sich auf unterschiedlichste Krebsformen anwenden – von Schilddrüsenkrebs und neuroendokrinen Tumoren bis zu Leberkrebs und Knochenmarksmetastasen durch Prostatakarzinome. Das der molekularen Radiotherapie zugrundeliegende Prinzip ist einfach: Radioaktive Moleküle werden einer Substanz hinzugefügt, die gezielt die Krebszellen angreift. Die Radioaktivität erfüllt eine doppelte Funktion: Durch den radioaktiven Zerfall werden Beta-Teilchen freigesetzt, die aufgrund ihrer Masse nur eine kurze Strecke innerhalb des Gewebes zurücklegen, wobei sie durch ihre Strahlung die Krebszellen vernichten. Gleichzeitig wird Gamma-Strahlung ausgesandt, die durch den Patienten hindurchgeht und von einer speziellen Gammakamera (Szintillationskamera) aufgezeichnet wird. Sie zeigt dem Arzt auf dem Computer die Verteilung der radioaktiven Nuklide im Körper des Patienten. So kann er sicherstellen, dass die Tumoren stärker getroffen wurden als sonstiges Gewebe.

Enormes Potential

„Das Potential dieser Methode für individualisierte Behandlungen ist enorm, aber bislang noch nicht voll ausgeschöpft“, sagt Dr. Flux. In der molekularen Radiotherapie sei es jahrzehntelang Standard gewesen, allen Patienten dieselbe radioaktive Dosis zu verabreichen, wobei man allenfalls ihr Gewicht berücksichtigt habe. „Aktuelle Forschungen belegen aber, dass dasselbe Maß an verabreichter Radioaktivität vom Organismus unterschiedlicher Patienten in sehr unterschiedlichem Umfang absorbiert wird, das heißt, die Menge an radioaktiver Energie, die im Gewebe abgelagert wird, schwankt individuell sehr stark. So zeigt zum Beispiel eine Studie, dass 3,000 MBq verabreichtes Radiojod vom Schilddrüsengewebe in Dosen absorbiert wurde, die je nach Patient von 7 Gy bis zu 570 Gy reichten“, erklärt Dr. Flux. Im Gegensatz dazu nehmen alle Patienten, die sich einer – bislang üblicheren – externen Bestrahlung unterziehen, im Rahmen derselben Behandlung auch dieselbe Dosis auf.

Zurzeit arbeitet man mit Hochdruck an der Entwicklung individualisierter und dadurch präziserer Therapieprogramme auf der Basis einer kombinierten radiopharmakologischen Diagnose und Behandlung. Eine zunehmend verfeinerte Computertechnik erlaubt es den Ärzten nicht nur zu überprüfen, ob die Radioaktivität zielgenau appliziert wurde, sondern auch ihre absolute Höhe zu messen. Darüber hinaus können die absorbierten Dosen dank immer genauerer Berechnungen auf der Basis von aufeinanderfolgenden Scans festgestellt werden.

Großer Nutzen für Krebspatienten

Was haben Krebspatienten von diesen Entwicklungen? Dr. Flux liefert ein Beispiel: „Die verabreichte Radioaktivität wird, so wissen wir jetzt, nicht nur von unterschiedlichen Tumoren und unterschiedlichen Patienten in unterschiedlichem Maße aufgenommen, sondern auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausgewaschen. Nach mehreren Jahren Forschungsarbeit gibt es jetzt einen Behandlungsplan für Kinder mit Neuroblastom, der die Verabreichung von I-131 mIBG (meta-Iodobenzylguanidin zielt auf Krebsformen des sympathischen Nervensystems, indem es von Adrenalin produzierenden Zellen aufgenommen wird) unter Berücksichtigung der individuellen Absorption vorsieht. Es hat sich gezeigt, dass die Biokinetik von Patient zu Patient zwar stark variiert. Aber wenn man die Substanz zum zweiten Mal verabreicht, folgt sie bei den meisten Patienten demselben Muster wie beim ersten Mal. Wenn also eine Behandlung in zwei oder mehr Abschnitte aufgeteilt wird, kann die Radioaktivität dem Behandlungsverlauf entsprechend angepasst werden. So stellen wir sicher, dass alle Patienten dieselbe Dosis aufnehmen. Einer Pilotstudie zufolge lässt sich so vorab der Grad der Schädlichkeit bestimmen, der der Behandlung Grenzen setzt.“

Aber die molekulare Radiotherapie hat noch mehr zu bieten, weil sie nicht nur allein, sondern auch kombiniert mit externer Strahlentherapie oder mit Chemotherapie eingesetzt werden kann. Da die Art, wie Zellen Radiopharmaka aufnehmen, sich oft von den Angriffsmechanismen der chemotherapeutischen Medikamente unterscheidet, lässt sich beides zusammen verabreichen. Darüber hinaus hat sich herausgestellt, dass auch einige andere Medikamente die Strahlungswirkung verbessern können. „Das sind vielversprechende neue Wege, die deutlich machen, dass Radiopharmaka künftig eine Schlüsselstellung in unserem Kampf gegen den Krebs einnehmen werden“, sagt Dr. Flux.

C. Musah, Radaktion Gesundheit