BK´in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der Präsident von Sierra Leone, Präsident Koroma, heute bei uns zu Besuch ist. Wir haben uns natürlich ausgetauscht und festgestellt, dass wir sehr, sehr gute bilaterale Beziehungen haben.
Wir verfolgen die Entwicklung in Sierra Leone mit großer Aufmerksamkeit. Es gab dort bis zum Jahr 2002 einen zehnjährigen Bürgerkrieg, und natürlich ist die Aufbauarbeit, die zu leisten ist, eine beträchtliche. Es gibt eine Vielzahl junger Menschen, die erwartungsvoll in die Zukunft blicken. Deshalb ist der Erfolg ein Erfolg, der von den Menschen in Sierra Leone natürlich auch möglichst schnell erwartet wird. Noch einmal zu Ihrer Erinnerung, in Deutschland ist das vielleicht nicht so sehr bekannt: Mehr als 40 Prozent der Menschen sind jünger als 15 Jahre. Das heißt, hier ist die Jugend wirklich eine Kraft, die für ihre Zukunft Verbesserungen erreichen möchte.
Deshalb unterstützen wir sehr die Aufarbeitung der Vergangenheit, die Versöhnungskommission, aber vor allen Dingen auch den Aufbau einer rechtsstaatlichen Situation. Deutschland engagiert sich auch sehr intensiv im Bereich der Arbeitsplätze, der Beschäftigung von jungen Leuten gerade im ländlichen Raum. Wir haben darüber gesprochen, dass die Abwanderung aus den ländlichen Räumen in die Ballungsgebiete natürlich ein großes Problem ist. Deshalb muss die Infrastruktur ausgebaut werden, und deshalb muss die Armut natürlich auch vor allem in den ländlichen Gebieten bekämpft werden.
Wir versuchen auch, Sierra Leone im Bereich der Unterstützung für ein gutes Rohstoffmanagement zu helfen. Sierra Leone hat viele Rohstoffe, und jetzt kommt es darauf an, dass das Land aus dem Gewinn der Ausbeutung dieser Rohstoffe natürlich auch selbst Profit zieht.
Ich begrüße sehr, dass der Präsident während seines Besuchs auch Vertreter der Wirtschaft besucht; denn eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit wird nur in Kombination mit privaten Investitionen möglich sein. Ich habe noch einmal auf Folgendes hingewiesen: Je besser die Rechtssicherheit ist und je klarer und verlässlicher die Bedingungen sind, umso einfacher ist es natürlich auch, bei der Wirtschaft dafür zu werben, mit ihren Investitionen etwas in Ihrem Land zu bewegen.
Wir haben uns natürlich auch über die Situation in der Nachbarschaft unterhalten und ausgetauscht. Wir haben mit Freude gehört, dass Präsident Koroma mit dabei ist, eine friedliche Lösung für die Côte d’Ivoire zu finden. Wir als Europäische Union unterstützen die Afrikanische Union bei der Lösung des dortigen Konfliktes; denn eine friedliche Region über alle Länder hinweg ‑ Guinea, Liberia, Sierra Leone bis hin zur Côte d’Ivoire ‑ ist natürlich die Voraussetzung für eine gute Entwicklung der Gesamtregion, an der wir ein massives Interesse haben.
Noch einmal herzlich willkommen und auch herzlichen Dank für Ihre Unterstützung für unsere Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat! Ich darf Ihnen versprechen, dass wir weiterhin an sehr guten bilateralen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern arbeiten wollen, und Ihnen von Herzen viel Erfolg bei Ihrer schwierigen Arbeit in Sierra Leone wünschen.
P Koroma: Danke schön, Frau Bundeskanzlerin. Vielleicht darf ich Ihnen ‑ Ihnen als Vertreterin der Bundesregierung, aber auch der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ‑ bei dieser Gelegenheit unseren herzlichen Dank für die hervorragende Gastfreundschaft aussprechen, die wir hier genießen dürfen. Sie sind eines der ersten Länder gewesen, die diplomatische Beziehungen mit uns geknüpft haben. Die Deutschen haben dies direkt nach der Erlangung unserer Unabhängigkeit getan, und wir haben seitdem sehr gute bilaterale Beziehungen unterhalten können. Es gab eine Unterbrechung während unseres Kriegs, aber direkt danach haben uns die Deutschen wieder ihre Unterstützung geliehen, und wir bekommen noch immer Unterstützung seitens der Deutschen.
Wir sind hier, um Ihnen zu sagen, dass Sierra Leone jetzt auf dem Pfad der Entwicklung ist. Als wir 2007 in die Regierung gewählt wurden, haben wir ein Entwicklungsprogramm aufgelegt, das wir die Agenda für den Wandel nennen. Im Rahmen dieser Agenda für den Wandel haben wir eine ganze Reihe von Prioritäten gesetzt, darunter zum Beispiel die Verbesserung des landwirtschaftlichen Sektors, die infrastrukturelle Entwicklung, die Verbesserung der Energieerzeugung und auch die Verbesserung unserer sozialen Dienstleistungen, hierbei vor allen Dingen im Bereich der Gesundheit und der Bildung.
Als Nation hat sich unsere Bevölkerung für den Pfad der Demokratie entschieden, dies selbst zu einem Zeitpunkt ‑ damals, 1996 ‑, als der Krieg noch nicht vorbei war. Damals hat es eine Wahl gegeben, die allgemein als freie und faire Wahl anerkannt worden ist. Auch 2002 gab es eine Wahl. Die wurde ebenfalls als freie und faire Wahl benannt. Auch 2007 gab es eine weitere erfolgreiche demokratische Wahl. Es ist also zu einem friedlichen Machtwechsel zwischen der Opposition und der Regierung gekommen, und das ist, denke ich, doch ein klares Indiz dafür, dass sich Sierra Leone jetzt wirklich auf dem Pfad der Demokratie bewegt.
Aber wir haben natürlich unsere Verantwortung. Wir müssen diesen demokratischen Prozess dauerhaft machen. Die einzige Möglichkeit, so glauben wir, das zu tun, ist, die Lebensbedingungen unserer Bevölkerung auch wirklich zu verbessern. Deswegen haben wir diese Agenda für den Wandel aufgelegt.
Deswegen haben wir in den letzten drei Jahren Programme entwickelt, die sich vor allen Dingen darauf konzentrieren sollen, dass man im Bereich des landwirtschaftlichen Sektors Erfolge zeitigt oder dass man zum Beispiel im Bereich der Infrastruktur das größte Infrastrukturentwicklungsprojekt überhaupt entwickelt. Dabei geht es nicht nur darum, dass man sozusagen große Zentren miteinander verbindet, sondern auch im ländlichen Raum die einzelnen Dörfer miteinander verbindet.
(Es geht auch um Erfolge) im Bereich der Elektrizität und des Stroms. Freetown hat man immer als die dunkelste Stadt in Afrika bezeichnet. Aber es ist uns während unserer Regierungszeit gelungen, eine reguläre Stromversorgung für die Hauptstadt zu gewährleisten. Wir haben die Erzeugung des Stroms durch das Wasserkraftwerk Bumbuna ermöglicht und verbessert. Das befand sich sozusagen 30 Jahre lang im Bau, und jetzt, in unserer Regierungszeit, ist es endlich fertiggestellt worden. Auf diese Weise konnte dann die Stromversorgung für die Hauptstadt insgesamt und für alle verschiedenen Distrikte gewährleistet werden. Es ist dann natürlich auch möglich, dass diejenigen, die im ländlichen Raum leben, Strom bekommen sollen, zum Beispiel durch den Aufbau der Solarenergie.
Der Mangel an Zugang zur Gesundheitsversorgung ist gerade im ländlichen Bereich ein besonders schwieriges Problem. Deswegen haben wir uns vor allen Dingen auf die verletzlichste Gruppe der Bevölkerung konzentriert. Wir haben im letzten Jahr eine gratis Gesundheitsversorgung vor allen Dingen für Mütter, Schwangere und kleine Kinder aufgelegt. Das hat zu einer großen Verbesserung geführt, was den Zugang zur Gesundheitsversorgung angeht, und das hat natürlich auch dazu geführt, dass die Sterblichkeitsrate erheblich gesunken ist.
Der Bildungssektor ist auch ein Bereich, den wir überprüft haben. Wir sind der Ansicht, dass wir das gesamte Bildungssystem reformieren müssen. Das ist für uns deswegen so wichtig, weil wir der Ansicht sind, dass eine Nation nur weiter Wachstum aufrechterhalten kann, wenn der Staat über entsprechend ausgebildete und gebildete Menschen verfügt. Wir haben, wie Sie wissen, eine sehr junge Bevölkerung. Deswegen ist eine ganz besonders wichtige Verantwortung, dafür zu sorgen, dass auch sie die nötigen Fähigkeiten bekommen, damit sie am Wachstum teilhaben, es dauerhaft gestalten können und somit auch die Demokratie dauerhaft gestalten können.
Wir sind heute hierhergekommen, um Ihnen unsere Geschichte zu erzählen, um zu zeigen, dass wir für die Unterstützung dankbar sind, die wir bekommen haben. Wir sind aber auch hierhergekommen, um darauf hinzuweisen, dass wir abgesehen von den Prioritäten, die wir uns gesetzt haben, entschlossen sind, das zu tun, was uns eine gute Regierungsführung ermöglicht.
Wir haben jetzt die härteste Anti-Korruptionsgesetzgebung, die Sie in Afrika finden werden. Wir haben uns auf die Gelder der Drogenbarone konzentriert, die unser Land als Transitland nutzen. Ich denke, all dies sind klare Indizien dafür, dass dieses eine Regierung ist, die das Land auf die nächste Stufe der Entwicklung heben möchte.
Wir hoffen also, dass wir die Unterstützung, die wir bekommen haben, auch verdienen. Wir wissen, dass wir von Ihnen Unterstützung bekommen haben, aber wir bekommen auch Unterstützung seitens der EU. Wir hoffen, dass es im bilateralen Bereich noch engere Verbindungen geben kann. Wir laden den privaten Sektor in der Bundesrepublik Deutschland dazu ein, zu uns zu kommen und einmal auszuloten, welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit es gibt, welche Chancen sich bei uns in ganz einzigartiger Art und Weise für sie bieten, so zum Beispiel im Bereich des Tourismus, des Bergbaus, der Landwirtschaft und in einer ganzen Reihe anderer Bereiche.
Wir glauben, dass wir, wenn man das richtige Engagement zeigt, bei uns den besten Tourismus anbieten können, den man sich überhaupt vorstellen kann. Wir müssen natürlich die Infrastruktur aufbauen. Wir haben zum Beispiel auch im Bergbausektor hervorragende Möglichkeiten zu bieten. Wir haben sehr große Eisenerz- und Goldvorkommen. Wir alle suchen nach Chancen und Möglichkeiten, mit Ihnen zusammenzuarbeiten und für uns und für Sie einen Mehrwert zu schaffen. Auch der landwirtschaftliche Bereich hat, wie gesagt, großes Potenzial.
Wir sind bei Ihnen, um die bilateralen Verbindungen zu stärken. Aber wir sind auch der Ansicht, dass wir diesen Besuch nutzen sollten, um den privaten Sektor hier in Deutschland zu ermutigen, zu uns zu kommen und sich zu überlegen, welche Investitionschancen es gibt. Der private Sektor in Sierra Leone hat sich erheblich entwickelt. Wir sind einer der besten Orte für Investitionen. Es gibt sehr gute Kommunikationsmöglichkeiten. Wir hoffen, diese gegen Ende dieses Jahres noch weiter zu verbessern, denn dann wird es bei uns im Land Glasfaserkabel zur Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten geben.
Wie Sie sehen, sind das alles Bemühungen, das allgemeine Investitionsklima zu verbessern. Wir können Sie eigentlich nur noch einladen. Wir sind sozusagen die Destination, zu der Sie kommen sollten.
Frage: Sie haben über Sierra Leone gesprochen, das sich seit mehr als acht Jahren auf dem Weg des Friedens und des Wiederaufbaus befindet; ich möchte in meiner Frage aber gern auf die aktuelle Lage in Afrika und insbesondere die Situation in Ägypten und Tunesien zu sprechen kommen. Man hatte das Gefühl, dass die Weltgemeinschaft von den Aktionen der Bevölkerung in Tunesien und Ägypten, deren Ziel ja nur Demokratie und Frieden war, überrascht wurde. Welche Maßnahmen wollen Sie jetzt ergreifen, um die Schaffung von Strukturen zu unterstützen, die solche Aktionen von vornherein unnötig machen?
In Italien sind inzwischen ungefähr 4.000 tunesische Flüchtlinge angekommen. Welche konkreten Maßnahmen sind aufseiten der EU geplant, um diese Menschen, die einfach nur Demokratie und Frieden wollen, zu betreuen und zu unterstützen? Wie weit sollten vor dem Hintergrund, dass diese Flüchtlingsströme eigentlich nur kollaterale Ereignisse sind, die Konsequenzen gehen?
BK´in Merkel: Erst einmal haben wir gesehen, welche Veränderungen sich in Tunesien und Ägypten ergeben. Das ist auch erst der Anfang eines Weges. Wir werden versuchen, diesen Weg intensiv mit zu begleiten. Ich glaube, dass die Voraussagbarkeit solcher Ereignisse immer begrenzt bleibt. Man wird historisch nie ganz genau sagen können, wann es zu solchen Ereignissen kommt und wann nicht; aber wenn sie da sind, muss man die Chancen einer solchen Entwicklung natürlich nutzen.
Was die Flüchtlinge anbelangt, die jetzt über Lampedusa nach Europa wollen, möchte ich sagen, dass natürlich nicht alle Menschen, die jetzt nicht in Tunesien sein wollen, nach Europa kommen können. Wir müssen vielmehr miteinander darüber sprechen, wie wir die rechtsstaatliche Situation in Tunesien wieder stärken können und ob Europa dabei helfen kann. Denn unser Ziel ist, die Probleme in den Heimatländern zu lösen, den Menschen dort eine Perspektive zu geben und ihnen damit auch eine Chance zu geben, in ihrer eigenen Heimat leben zu können.
P Koroma: Ich möchte dazu nur sagen, dass wir natürlich hoffen, dass die Entwicklungen in Tunesien und Ägypten hoffentlich freundschaftlich beigelegt werden, und zwar im besten Interesse der Bevölkerung der beiden Staaten. Wir in Sierra Leone bereiten uns darauf vor, dafür zu sorgen, dass unsere Bevölkerung auch wirklich so etwas wie eine demokratische Dividende für sich ernten kann. Wir öffnen unsere Regierung, wir versuchen, transparenter zu sein, wir versuchen, dafür zu sorgen, dass Menschen Zugang zu Informationen haben und wissen, wohin eigentlich die Steuergelder gehen und was damit gemacht wird, was mit den Investitionen passiert, die getätigt werden, und wer davon profitiert.
Insgesamt gesehen versuchen wir, dafür zu sorgen, dass Demokratie das ist, woran die Leute glauben. Selbst in den Zeiten, in denen wir Schwierigkeiten hatten und in denen es Auseinandersetzungen gab, sind die Menschen immerhin zur Wahl gegangen, weil ihnen klar war, dass die Demokratie ihre einzige Möglichkeit ist. Ich denke, wir als Regierung haben dann die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass man die Demokratie auch wirklich aufrecht erhält. Das geht nur dadurch, dass man Veränderungen herbeiführt und dass man die Lebensbedingungen der Menschen im Lande verbessert. Wenn man sich darauf konzentriert und auf diesem Kurs der Entwicklung bleibt, dann wird es keine solchen Überraschungen geben, wie sie sich in anderen Ländern abgezeichnet haben.