Nachholbedarf bei Medizinprodukten: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie fordert Melderegister und kontrollierte Zulassung

Künstliche Gelenke, Herzschrittmacher, Gefäßstützen: Die Liste sinnvoller und bewährter Medizinprodukte ist lang und eine fortschrittliche Chirurgie ohne sie nicht denkbar. Dennoch haben Skandale um auslaufende Brustimplantate und fehlerhafte Gelenkprothesen gezeigt, dass es Sicherheitslücken gibt. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) fordert daher neben einer stärkeren Kontrolle der Zulassungsstellen ein zentrales europäisches Melderegister für Warnhinweise, Produktrückrufe und schädliche Langzeiteffekte von Medizinprodukten. „Dies würde es Ärzten erlauben, früher zu reagieren und auf diese Weise mögliche Schäden zu vermeiden“, so Professor Dr. med. Hartwig Bauer, Generalsekretär der DGCH. Eine weitere Schwachstelle sei die derzeitige Regelung der Zulassung. Welche Anforderungen Medizinprodukte aus Sicht der operierenden Ärzte haben müssen, erläutert Professor Bauer auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des 129. Chirurgenkongresses am 23. April 2012 in Berlin.

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Für neue Medizinprodukte mit einer hohen Risikoklasse – beispielsweise Implantate, die im Köper verbleiben und in Körperfunktionen eingreifen – gelten strenge Anforderungen an die Hersteller. „Im Gegensatz zu Arzneimitteln müssen sie jedoch nicht nachweisen, worin der Mehrnutzen für den Patienten liegt“, so Professor Bauer. Denn in den Prüfvorschriften steht die Untersuchung der Sicherheit und der Eignung für den Funktionszweck im Vordergrund.

Darüber hinaus sei es jedoch für Chirurgen wichtig, ob sich das Medizinprodukt in der Praxis auch bewährt und für welche Patienten es geeignet ist. Professor Bauer: „Es kommt vor, dass zunächst als innovativ geltende Implantate teils schwere Komplikationen hervorrufen, frühzeitig versagen oder für ursprünglich vorgesehene Indikationen nicht geeignet sind“. Die DGCH setzt sich daher für eine zentrale Datenbank für Medizinprodukte ein, die zugänglich und transparent Informationen über Zulassungszertifikate und Daten aus der klinischen Anwendung erfasst. „Ein erster und wichtiger Schritt wäre der Aufbau eines zentralen Melderegisters“ sagt Professor Bauer. „Es könne dazu beitragen, Problempotenziale frühzeitig zu erkennen.“.

Zulassung und Finanzierung neuer Produkte und Verfahren in der Chirurgie bedürfen einer verbesserten standardisierten Prüfung nicht nur auf ihre produkttypische Wirksamkeit und Sicherheit, sondern auch bezüglich ihres Nutzens bei der klinischen Anwendung an Patienten. Um ihnen medizinische Innovationen schneller zugänglich zu machen, trat vor über 15 Jahren das Medizinproduktegesetz in Kraft. Rund 80 „Benannte Stellen“ oder „Notified Bodies“ in ganz Europa prüfen in einem verkürzten Verfahren die Medizinprodukte lediglich auf ihre Sicherheit und medizinisch-technische Leistungsfähigkeit. Anschließend verleihen diese kommerziell selbstständigen Zulassungsstellen das CE-Zeichen, mit dem das Produkt europaweit am Menschen angewendet werden darf. Sie sollten laut Professor Bauer einer stärkeren, übergeordneten europäischen Aufsicht unterstellt werden und anspruchsvollere, klarer definierte Qualifikationskriterien bekommen. Weiterhin wären konkrete Überwachungsaufgaben der Prüfstellen nach der Zulassung festzulegen. Professor Bauer: „Als Chirurgen sollten wir nicht nur Sorge dafür tragen, dass Patienten von nutzbringenden Verfahren nicht erst verzögert profitieren, sondern auch alles tun, das Risiko einer möglicherweise Schaden bringenden verfrühten Anwendung infolge unzureichender vorklinischer und klinischer Prüfung zu minimieren.“

Um die Brücke zur Praxis zu schlagen, müssten noch stärker als bisher wissenschaftliche Fachgesellschaften systematisch eingebunden werden. Frühzeitige vergleichende klinische Studien könnten Nutzen und Schadenspotential von neuen Medizinprodukten aufzeigen. Im Rahmen der Regelungen des neuen Versorgungsstrukturgesetzes sollte für diese klinischen Prüfungen eine standort-übergreifende Zusammenarbeit in Innovationszentren gesucht werden. Mit einem eigenen Studienzentrum und einem chirurgischen Studiennetzwerk hat die DGCH die Voraussetzungen für derartige Versorgungsstudien geschaffen.

Auf dem Kongress der DGCH vom 24. bis 27. April 2012 in Berlin diskutieren Experten unter anderem über notwendige Meldeverfahren und die Sicherheit von Implantaten.