Frühkindlicher Missbrauch manifestiert sich in der Hirnstruktur

Verschiedene Formen kindlicher Misshandlung führen zu einem erhöhten
Risiko für psychische Erkrankungen sowie Sexualstörungen im
Erwachsenenalter. Eine neuronale Basis dieser Assoziation entdeckten jetzt
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité –
Universitätsmedizin Berlin und der McGill University in Montreal, Kanada,
in Kooperation mit Kollegen aus anderen Institutionen. Sie konnten zeigen,
dass sexuell missbrauchte und emotional misshandelte oder vernachlässigte
Kinder langfristig spezifische strukturelle Veränderungen in der
Architektur ihres Gehirns ausbilden, in Abhängigkeit davon, welche
Misshandlungsform erlebt wurde. Die Ergebnisse der Studie sind jetzt in
der aktuellen Ausgabe des American Journal of Psychiatry* publiziert.

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Die Opfer von Kindesmisshandlung leiden oftmals unter psychischen
Erkrankungen. Eine besonders häufige Folge von sexuellem Missbrauch in
der Kindheit sind spätere sexuelle Funktionsstörungen. Die
darunterliegenden physiologischen Mechanismen, die diese Assoziation
vermitteln, sind bislang jedoch wenig verstanden. Eine Arbeitsgruppe um
Prof. Christine Heim, Direktorin des Instituts für Medizinische
Psychologie der Charité, und Prof. Jens Prüssner, Direktor des
McGill-Zentrums für Altersforschung an der McGill University, untersuchte
mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) 51 Frauen, die in ihrer
Kindheit verschiedenen Formen der Misshandlung ausgesetzt waren. Dabei
maßen die Wissenschaftler unter anderem die Dicke der Großhirnrinde. Die
Großhirnrinde (Kortex) ist die äußere, an Nervenzellen (Neuronen)
reiche Schicht des Großhirns.

Die Ergebnisse der Studie zeigen eine spezifische Korrelation zwischen
verschiedenen Formen der Misshandlung und Veränderungen in genau
denjenigen Regionen des Kortex, die in die Wahrnehmung und Verarbeitung
der speziellen Misshandlungsform involviert sind. So ist beispielsweise
der somatosensorische Kortex in dem Bereich, in welchem die weiblichen
Genitalien repräsentiert werden, signifikant dünner bei Frauen, die in
ihrer Kindheit Opfer sexuellen Missbrauchs waren. Opfer emotionaler
Misshandlung hingegen zeigen eine spezifische Reduktion der Hirnrinde in
den Bereichen, denen eine wesentliche Funktion bei der Etablierung des
Selbstbewusstseins, der Selbsterkennung und der emotionalen Regulation
zugeschrieben wird.

»Unsere Daten verweisen auf einen konkreten Zusammenhang zwischen
erfahrungsabhängiger neuraler Plastizität und
medizinisch-gesundheitlichen Problemen«, kommentiert Prof. Heim. »Der
große Effekt und die regionale Spezifität im Gehirn, die mit der Art der
Misshandlung korrespondiert, sind bemerkenswert«, fügt Prof. Prüssner
hinzu. Die Wissenschaftler spekulieren, dass eine regionale Verdünnung
der Hirnrinde eventuell Folge der Aktivität inhibitorischer Schaltkreise
während der frühen Entwicklung ist. Dies könnte als unmittelbarer
Schutzmechanismus des Gehirns interpretiert werden, welcher das
aufwachsende Kind von der Erfahrung »abschirmt«, aber später im Leben
gesundheitliche Folgen hat. Die Ergebnisse erweitern die allgemeine
Literatur über neuronale Plastizität und zeigen, dass kortikale
Repräsentationsfelder kleiner werden können, wenn bestimmte sensorische
Erfahrungen nachteilig oder nicht entwicklungsadäquat sind.

Die Studie wurde in Kooperation mit Wissenschaftlern der Emory Universität
in Atlanta, Georgia, und der Universität von Miami, Florida,
durchgeführt.